Abgeordnete zur Europawahl


Zwei Europaabgeordnete

Jo Leinen (l.) und Roland Theis | Fotos: © Goetz Schleser & CDU Saar

Europawahl: Das Deutsche Handwerksblatt befragten die Parteien im saarländischen Landtag zur Europawahl. Antworten erhielt das DHB lediglich von den Abgeordneten Jo Leinen (SPD) und Roland Theis (CDU).
 
Jo Leinen ist Mitglied des Europäischen Parlament. Der ehemalige Umweltminister ist seit Juli 1999 Abgeordneter der SPD Saar im EU-Parlament. Seit 2014 ist er Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zur Volksrepublik China. Außerdem ist er Mitglied des Ausschusses für konstitutionelle Fragen und Sprecher der europäischen Sozialdemokraten im Verfassungsausschuss, dessen Vorsitz er von 2004 bis 2009 innehatte. Jo Leinen ist weiterhin Mitglied des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit, dessen Vorsitz er von 2009 bis 2012 innehatte.
 
Roland Theis war nach der Landtagswahl 2009 Abgeordneter des Saarländischen Landtags und Sprecher seiner Fraktion zunächst für Rechtspolitik sowie später für Europa- und Energiepolitik. Von 2012 bis 2017 war er Generalsekretär der CDU Saar. Seit Mai 2017 ist er Staatssekretär für Justiz und Staatssekretär für Europa sowie Bevollmächtigter für Europaangelegenheiten des Saarlandes.
 
 
DHB: Wie wollen Sie sicherstellen, dass saarländische Handwerker auch zukünftig von offenen Grenzen zu Frankreich, Luxemburg und Belgien profitieren können?
 
Leinen: Der freie Dienstleistungsverkehr ist einer der Grundfreiheiten in der Europäischen Union und gehört zu den Eckpfeilern des EU-Binnenmarktes. Ohne offene Grenzen zu unseren Nachbarn kann die EU nicht funktionieren. Damit das saarländische Handwerk auch weiterhin von den offenen Grenzen in der Großregion profitieren kann, braucht es eine Kodifizierung des EU-Wirtschaftsrechts unter Berücksichtigung von sozialen Standards. Ein fairer Wettbewerb braucht faire und gleiche Bedingungen, um Dienstleistungen anbieten zu können. Einen ersten Meilenstein konnten wir bei der Überarbeitung der Entsenderichtlinie setzen. Mit dem Prinzip ‚gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort‘ haben wir erfolgreich Rechtssicherheit geschaffen. Entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können nun auch regionale und branchenspezifische Tarifverträge erhalten. Die neuen Regeln schützen nicht nur die Beschäftigten, sondern außerdem deutsche Tarifstandards und somit unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen vor unlauterer Dumping-Konkurrenz. Außerdem wurden die unlauteren Praktiken erschwert: Kosten, die bei einer Entsendung anfallen, etwa der Transport zum Arbeitsort oder die Kosten für die Unterbringung, dürfen nicht vom Lohn abgezogen werden. In Zukunft gilt es aber auch die grenzübergreifende Mobilität zu verbessern und bürokratische Hürden, die oftmals protektionistische Tendenzen aufweisen, abzubauen.

 
Theis: Der gemeinsame Binnenmarkt ist die Grundlage für unseren Wohlstand. Er ermöglicht innerhalb der Europäischen Union grenzenlose Mobilität für Bürger, Waren, Dienstleistungen und Kapital. Das ist ein Mehrwert für alle. Die Mitgliedsländer gewinnen durch Handel und Wettbewerb. Gerade in unserer Region wird dieser Wettbewerb jedoch durch administrative und bürokratische Hindernisse – bisweilen sogar gezielt – unterbunden, wie etwa im Rahmen der Umsetzung der Entsenderichtlinie. Diese Hindernisse gilt es zukünftig abzubauen, damit Waren und Dienstleistungen tatsächlich grenzenlos angeboten und erbracht werden können.
Die Freiheiten des Schengen-Raums gilt es zu verteidigen. Die Idee von Schengen ist und bleibt, dass die Binnen-Grenzen fallen können, wenn und soweit die Außengrenzen gemeinsam geschützt sind. Dafür gibt es zum Zweck der Beschränkung von Migration und der Bekämpfung von Kriminalität noch viel zu tun. Daher setze ich mich dafür ein, die europäische Grenzagentur FRONTEX so zügig wie möglich zu einer echten europäischen Grenzpolizei mit mindestens 10 000 zusätzlichen Grenzschützern mit direkten Eingriffsrechten anwachsen zu lassen. FRONTEX benötigt die Befugnisse, die klaren Vorschriften zur Grenzkontrolle und den Einreisebestimmungen an den europäischen Außengrenzen in Zusammenarbeit mit den Nationalstaaten durchzusetzen.
Genauso zügig muss das auf Drängen Deutschlands beschlossene europäische Ein- und Ausreiseregister (EES) sowie das in der Entstehung befindliche Europäische Reisegenehmigungssystem, ETIAS, schnellstmöglich scharf geschaltet werden, damit wir zum einen wissen, welche Drittstaatsangehörigen sich bei uns aufhalten, und zum anderen um terroristischen Gefährdern und Schleppern leichter das Handwerk zu legen. Mit diesen neuen Registern schaffen wir einen weiteren Gewinn für unsere Sicherheit und sichern unsere Freiheiten innerhalb des Schengen-Raums ab.
 

DHB: Wie kann der Euro, der den Zahlungsverkehr innerhalb Europas auch für Handwerksunternehmen vereinfacht, zukunftsfest aufgestellt werden?

Leinen: Um den Euro stark zu halten, muss der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) zu einem Europäischen Währungsfonds mit starker demokratischer Legitimität weiterentwickelt werden. Desweiteren braucht es eine Vollendung der europäischen Bankenunion mit einer gemeinsamen fiskalischen Letztsicherung für Bankenabwicklungsfonds und mit einer europäischen Rückversicherung für nationale Einlagensicherungssysteme. Aber diesen wichtigen Versicherungs- und Solidaritätsmechanismen im Krisenfall muss gleichzeitig ein hohes Maß an glaubwürdiger Eigenverantwortung und europäischer Kontrolle an die Seite gestellt werden, um Fehlanreize zu vermeiden und die potenziellen Krisenkosten für den europäischen Steuerzahler in engen Grenzen zu halten. Deshalb müssen diese Mechanismen zwingend kombiniert werden mit Schritten, die die Glaubwürdigkeit der No-Bailout-Klausel in Zukunft sicherstellen. Dazu gehören Collective Action Clauses in allen nationalen Staatsanleihen. Auch ist eine fundamentale Neuordnung der Regel für Staatsanleihen in Bankbilanzen erforderlich, damit eine Restrukturierung der Staatsanleihen überschuldeter Staaten nicht daran scheitert, dass sie eine große Bankenkrise auslösen würde. Schließlich muss die Vollendung der Bankenunion mit einer weiteren Verbesserung des Schutzes des europäischen Steuerzahlers vor Bankpleiten einhergehen. Parallel dazu ist die Widerstandsfähigkeit der Union gegenüber makroökonomischen Schocks und den Gefahren von starken geographischen Divergenzen der Wettbewerbsfähigkeit in der Währungsunion zu stärken. Die Vertiefung des Binnenmarkts, die Schaffung einer echten Kapitalmarktunion, die Verbesserung der innereuropäischen Mobilität und eine glaubwürdig antizyklische Anpassung der Fiskalregeln für die Eurozone sind hier wichtige Schritte. Auch die Schaffung einer fiskalischen Kapazität innerhalb der Eurozone ist erforderlich, um makroökonomische Schocks besser aufzufange

Theis: Die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) und die Einführung des Euro sind Meilensteine der europäischen Integration. Von deren Stabilität hat in den vergangenen Jahren die deutsche Wirtschaft sehr profitiert. Doch Stabilität kommt nicht von alleine. Wichtig ist, dass auch zukünftig Haftung und Verantwortung in einer Hand bleiben. Jeder Mitgliedstaat muss für seine eigenen Schulden haften. Ich lehne eine Vergemeinschaftung von Schulden oder Risiken ab. Eine echte Stabilitätsunion setzt solide Staatsfinanzen und einen handlungsfähigen Staat voraus. Die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts und des Fiskalvertrags müssen strikt eingehalten und durchgesetzt werden. Verstöße gegen die Stabilitätskriterien müssen Konsequenzen haben. Auch die Verantwortung für die Sozialsysteme muss daher bei den Mitgliedstaaten bleiben. Eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung lehne ich ab, weil sie zu dauerhaften Transferzahlungen innerhalb der EU führen und Anreize mindern würde, strukturelle Arbeitslosigkeit abzubauen.
 
 
DHB: In der globalisierten Wirtschaft braucht ein Standort eine gewisse Betriebsgröße um im internationalen Wettbewerb erfolgreich zu sein. Volkswirtschaften können nur im europäischen Verbund in einer Liga mit China, Russland und den USA mitspielen. Was ist jetzt zu tun, um in Zeiten des Brexit wieder mehr Zusammenhalt in der EU herzustellen?
 
Leinen: Wir brauchen ein Europa der Bürgerinnen und Bürger, die ihre Stimme demokratischen Parteien geben und nicht denjenigen, die sie in die Sackgasse führen. Die Nationalisten und Populisten spielen mit den Ängsten der Menschen. Die Lösung der Probleme liegt aber nicht in weniger, sondern einem besseren Europa. Hierfür muss mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden. Wir brauchen eine EU, die ihre Bürger schützt und zum Abbau von sozialen Ungerechtigkeiten beiträgt. Wir brauchen Europa, um die großen Zukunftsaufgaben erfolgreich zu bewältigen: Durch gemeinsame europäische Zukunftsinvestitionen, wie z.B. in künstliche Intelligenz oder moderne Energie- und Logistiktechnologien. Durch Schaffung echter sozialer Grundrechte und Verbraucherschutzrechten, gerade auch in Zeiten der Digitalisierung und des ökologischen Wandels.

Theis: Freihandel und Globalisierung sind Wachstums- und Wohlstandstreiber. Sie eröffnen unseren Unternehmen zusätzliche Absatzmärkte und tragen bei, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. Grundlage für freien Handel sind offene Märkte und faire Regeln. Protektionismus und Abschottung sind der falsche Weg. Doch Globalisierung braucht Regeln. Dafür gibt die Welthandelsorganisation gemeinsame Regeln und Leitplanken vor. Wir streben eine neue Verhandlungsrunde in der Welthandelsorganisation an, um international Handelshemmnisse weiter abzubauen. Das Scheitern von ttip, das insbesondere von der europäischen Grünen und Linken sowie den US-Anhängern Donald Trumps verursacht wurde, war ein Fehler. Ich setze mich daher für einen neuen Anlauf für ein Freihandelsabkommen mit den USA ein.
Europa kann sich nur im Wettbewerb mit Russland, USA und der Volksrepublik China bewähren, wenn es zusammenhält. Dafür müssen wir in den großen Zukunftstechnologien mehr gemeinsam forschen und entwickeln. Was Kohle und Stahl in der Welt von Robert Schuman waren, sind heute Daten und Netze. Ich setze mich daher für einen „Robert Schuman-Plan für Künstliche Intelligenz“ ein, mit dem Europa wieder Spitzenreiter in der Digitalisierung wird.
Ebenso brauchen wir europäische global Player, die – wie Airbus – in der Lage sind, im weltweiten Wettbewerb vorne mitzuspielen. Dafür müssen wir unser Wettbewerbsrecht anpassen. In Schlüsselbereichen muss das Entstehen von europäischen Weltmarktführern auch durch bessere Kooperation der Unternehmen untereinander ermöglicht werden, um auf dem Weltmarkt bestehen zu können.