"Das Handwerk erbringt eine hohe Ausbildungsleistung“


Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser,

Prof. Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (Foto: © BIBB)

Interview mit Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung
DHB: Was sind die Aufgaben und Ziele des BIBB?

Prof. Esser: Zentrale Aufgabe des BIBB ist eine zukunftsorientierte Berufsbildungsforschung, auf deren Basis die Entwicklung von Problemlösungen wie auch die Beratung von Praxis und Politik erfolgt. Unsere Arbeit zielt dabei generell auf die Weiterentwicklung des Berufsbildungssystems. Dazu verfolgen wir spezielle Ziele, bspw. die Modernisierung von Aus- und Weiterbildung im Zeitalter der Digitalisierung oder die Verbesserung der Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit zwischen beruflicher und allgemeiner bzw. akademischer Bildung.

DHB: Für wie wichtig halten Sie es, dass die Politik die Gleichwertigkeit der beruflichen mit der akademischen Bildung herstellt? Warum?

Prof. Esser: Der Deutsche Qualifikationsrahmen stellt die Gleichwertigkeit der beruflichen mit der akademischen Bildung formal sicher. Besonders ist die gleichwertige Zuordnung der Meisterqualifikation mit der des Bachelors zum Niveau 6 herauszustellen. Mit Recht, denn das deutsche Berufsbildungssystem hat sich in der Vergangenheit als Rückgrat für unseren Wirtschaftsstandort erwiesen. Deutsche Berufsbildung hat vor allem auch im Ausland einen ausgezeichneten Ruf. Leider hat das Interesse in Deutschland dagegen bei Jugendlichen und ihren Eltern in den vergangenen Jahren nachgelassen. Immer mehr Schülerinnen und Schüler streben ein Hochschulstudium an. Wie unsere Arbeitsmarktprojektionen zeigen, steht diese Entwicklung jedoch dem erwarteten Fachkräftebedarf entgegen. Schon heute gibt es in vielen Regionen Probleme bei der Rekrutierung von Fachkräften in unterschiedlichen Branchen. Um diesen Trend umzukehren, muss für die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung intensiv geworben, Vertrauen in berufliche Karrierewege geschaffen wie auch die Kleinst- und Kleinbetriebe als zukunftsorientierter Teil unseres Beschäftigungssystems weiterentwickelt werden.

DHB: Welchen Stellenwert nimmt aus Ihrer Sicht das Handwerk als Ausbilder für die Zukunftsfähigkeit des Standortes Deutschland ein?

Prof. Esser: Mit bundesweit über einer Million Unternehmen und über fünf Millionen Beschäftigten ist das Handwerk eine der tragenden Säulen der deutschen Wirtschaft. Das Handwerk ist nicht nur ein großer Arbeitgeber, sondern erbringt auch eine hohe Ausbildungsleistung mit einer überdurchschnittlichen Ausbildungsbetriebsquote.

DHB: Wo steht die berufliche Bildung in Sachen Digitalisierung heute, wo muss sie hin und wie kommt sie dort hin?

Prof. Esser: Die Digitalisierung vollzieht sich als evolutionärer Prozess. Das heißt, sie hat bereits vor vielen Jahren begonnen und setzt sich mit besonderer Dynamik in der jüngsten Zeit fort. Für die berufliche Bildung sind aktuell besonders die Fragen nach den notwendigen Veränderungen des Qualifikationsprofils der Fachkräfte wie auch die veränderten Möglichkeiten des Einsatzes neuer und leistungsstärkerer Medien in Qualifizierungsprozessen von hoher Relevanz. So untersucht das BIBB im Rahmen der Initiative „Berufsbildung 4.0“ mit dem BMBF gemeinsam die Auswirkungen der Digitalisierung auf ausbildungsbedeutsame Berufsbilder und entwickelt didaktisch-methodische Konzepte zur digitalen Aus- und Weiterbildungsgestaltung. Des Weiteren unterstützen Förderprogramme im Kontext der Initiative zum einen überbetriebliche Ausbildungsstätten, zum anderen die notwendige Weiterbildung von Ausbilderinnen und Ausbildern. Denn vor allem dem Bildungspersonal kommt im Rahmen der Digitalisierung eine besondere Schlüsselrolle zu. Von daher sind auch die Berufsschulen und damit verbunden die Aus- und Weiterbildung der Berufsschullehrer verstärkt in den Blick zu nehmen.

DHB: Was wünschen Sie sich von der europäischen Politik in den nächsten fünf Jahren?

Prof. Esser: Die EU-Mitgliedstaaten haben umfangreiche Reformen ihrer Systeme zu mehr dualisierten Formen der Ausbildung über die vergangenen fünf Jahre vorangetrieben und befinden sich aktuell in deren Umsetzung. Deswegen ist es notwendig, dass die europäische Politik weitere Unterstützung für die Mitgliedsstaaten bei der Entwicklung von dualisierten Ausbildungsformen im Rahmen der Europäischen Allianz für die Berufsbildung leistet. Die Förderung von Mobilität in der beruflichen Bildung sowie grenzüberschreitender Ausbildungsmöglichkeiten im Kontext eines wachsenden integrierten Arbeitsmarkts muss weiter ein mit entsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattetes Engagement in Europa bleiben. Nicht zuletzt wünsche ich mir von der EU die Einsicht, dass die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wie auch des Ausbildungssystems in hohem Maße von der hohen Qualifikation der Handwerksmeisterinnen und -meister abhängt. Es ist deshalb auch für die Zukunft unerlässlich, an der in Deutschland praktizierten Form des Befähigungsnachweises festzuhalten.
 

Hintergrund:

Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser war Gastredner beim Pressegespräch und den Feierlichkeiten zum 60. Geburtstag der Saarländischen Meister- und Technikerschule (SMTS) im Oktober 2017. Lesen Sie mehr zu den Feierlichkeiten und zur Fishbowl-Diskussionsvernstaltung mit HWK-Präsident Bernd Wegner hier.