„Digitale Lösungen sind nichts Anderes als Werkzeuge“


Dr. Leenhard Hörauf im Interview
 
Dr. Leenhard Hörauf hat an der RWTH Aachen im Fach Maschinenbau promoviert. Heute lebt er im Saarland und ist Projektleiter des Mittelstand 4.0.-Kompetenzzentrums in Saarbrücken, das Unternehmen bei der Einführung digitaler Lösungen und Prozesse begleitet.
Im DHB-Interview spricht er darüber, welche Vorteile und Chancen eine unternehmensgerechte Digitalisierungsstrategie für Handwerksbetriebe bietet und welche Fragen sich jeder Unternehmer bereits vor der Umsetzung stellen sollte.

DHB: Herr Dr. Hörauf, inwiefern stellt die Auseinandersetzung mit Digitalisierung und die Einführung digitaler Lösungen und Prozesse für Handwerksunternehmen einen Wettbewerbsvorteil dar?

Hörauf: Um den möglichen Mehrwert für Unternehmen im Handwerk zu veranschaulichen, möchte ich mit einem Beispiel einsteigen. Das saarländische Handwerksunternehmen Tortechnik Hirtz aus Überherrn ist auf die Einrichtung und Wartung von Toren, Schranken und Zäunen spezialisiert.  Gemeinsam mit anderen Handwerksunternehmen hat der Betrieb zunächst das Beratungsangebot der Beauftragten für Innovation und Technologie der Handwerkskammer des Saarlandes genutzt. Die HWK hat anschließend den Kontakt zu uns hergestellt und wir haben die Beratung daraufhin mit begleitet. Ziel der Geschäftsführung des Unternehmens war es, einige unternehmensinterne Prozesse effizienter zu gestalten. Der Status Quo sah vor der Beratung so aus, dass der Geschäftsführer mit dem Klemmbrett auf die jeweiligen Baustellen fuhr, um Informationen zu Projektfortschritten, benötigten Materialien, Folgeaufträgen und anstehenden Wartungsarbeiten zusammenzutragen. Das Unternehmen wollte das ändern, denn ein solches Vorgehen ist nicht nur aufwändig und umständlich, sondern durch den Medienbruch vom Papier auf den PC auch sehr fehleranfällig. Seitdem haben sich die unternehmensinternen Arbeitsabläufe stark verändert: Die wichtigsten Betriebsprozesse wurden digital abgebildet und es wurde ein sogenanntes ERP-System (Enterprise Resource Planning System) eingeführt. Darunter versteht man eine betriebswirtschaftliche Softwarelösung zur Steuerung von Geschäftsprozessen. Die Vorteile für den Betrieb liegen in der Ersparnis von Zeit und Geld, da ein und dieselbe Information auch nur einmal ins System übertragen werden muss und von verschiedenen Mitarbeitern genutzt werden kann. Außerdem ist ein wesentlich effizienteres Arbeiten möglich, da sämtliche wichtige Informationen über die Unternehmensressourcen wie Lagerbestände oder darüber, wo ein Mitarbeiter gerade eingesetzt wird, zentral im System zusammenlaufen. Auf dieser Grundlage kann das Unternehmen dann wichtige Entscheidungen treffen wie: Welchen Mitarbeiter setze ich als nächstes wo ein? Muss ich jetzt Material nachbestellen oder ist mein Lager noch ausreichend bestückt? Zusätzliche Projekte können außerdem leichter im Nachgang aufgenommen werden und Kundenangebote lassen sich mit wenigen Klicks anhand fertiger Bausteine zusammenstellen.

DHB: Lohnt es sich aus Ihrer Sicht für Unternehmen jedes Gewerks, vom Anlagenbauer über den Frisör bis zum Zahntechniker, digitaler zu werden?

Hörauf: Ich würde sagen ja. Beim Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Saarbrücken arbeiten wir vorwiegend mit produktionsnahen Betrieben zusammen, in denen digitale Lösungen Handwerksunternehmer und ihre Mitarbeiter in aller Regel bei Tätigkeitsfeldern wie Verwaltung und Dokumentation entlasten können. Dadurch bleibt den Handwerkerinnen und Handwerkern mehr Zeit für das Wesentliche, nämlich die Ausübung ihrer handwerklichen Tätigkeit. Auch für die dienstleistungsorientierten Gewerke sehe ich Chancen. Als Frisörkunde fände ich zum Beispiel ein digitales Terminbuchungssystem überaus praktisch. Wenn das viele Kunden so sehen wie ich, würde die Einführung des Terminbuchungstools ganz klar einen Wettbewerbsvorteil für den Salon bedeuten. Grundsätzlich ist sicher für jedes Unternehmen eine passende Lösung dabei. Wichtig ist, dass der Lösungsansatz zum Unternehmen, dessen Philosophie und der Belegschaft passt, die damit arbeiten muss. Sind all diese Kriterien erfüllt, ist das ein gutes Zeichen.

DHB: Welche sind aus Ihrer Sicht die innovativen Technologien, die das Handwerk von morgen prägen werden?

Hörauf: Es gibt sicherlich Lösungen und Technologien, die für Unternehmen unterschiedlicher Gewerke ab einer gewissen Größe eine deutliche Entlastung bedeuten können. Hier fallen mir zum Beispiel digitale Zeiterfassungssysteme, oder ERP-Lösungen ein, die auch bei der Lohnabrechnung helfen können. Andere digitale Tools wie Dokumenten-Management-Systeme bieten aus meiner Sicht besonders für die Bauhaupt- und Ausbaugewerke großes Potenzial, da sich damit alle relevanten Informationen für bestimmte Baustellen wie die Dokumentation potenzieller Gefahrenstellen, Baupläne, Projektfortschritte, Mitarbeitereinsatzpläne oder Materiallisten zentral bereitstellen lassen. Das erleichtert nicht zuletzt die Kommunikation im Unternehmen und macht die Arbeit planbarer und sogar stellenweise sicherer. Diese Lösungen existieren bereits sind jedoch noch längst nicht in allen Handwerksunternehmen angekommen, die davon profitieren könnten.

DHB: Welche ersten Schritte kann ein Unternehmen gehen, das sich stärker mit der Materie befassen möchte?

Hörauf: Grundsätzlich sollten Digitalisierungsprojekte im Betrieb nie ausschließlich ihrer selbst willen auf den Weg gebracht werden, sprich nur um das Unternehmen irgendwie digitaler zu machen. Der Ausgangspunkt für die Einführung neuer Prozesse und Lösungen sollte vielmehr immer ein konkretes Problem sein, das der Erfüllung von Kundenwünschen, den Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder der zielorientierten Arbeit im Betrieb im Wege steht. Unternehmen, die sich mit einem bestimmten Ziel vor Augen digitaler aufstellen möchten, sollten sich daher vorab immer fragen: Wo gibt es Probleme und was will ich verbessern? Was steht meinem Ziel im Weg? Was ist mein Handlungsfeld? Welche Technologie eignet sich zur Umsetzung? Grundsätzlich erfordert die Einführung digitaler Lösungen Zeit und echtes Interesse. Neben der Umsetzung sollte außerdem Zeit für eine gewissenhafte Vor- und Nachbereitung eingeplant werden. Bevor ein Betrieb also beispielsweise ein neues digitales Zeiterfassungs- oder Dokumentenmanagementsystem einführt, sollte die Unternehmensführung sich darüber Gedanken machen, bei welchen Mitarbeitern im Umgang mit dem System Schulungsbedarf besteht und ob an einer verfügbaren Standardlösung eventuell noch Anpassungen vorgenommen werden müssen, damit das System dem Betrieb überhaupt einen Mehrwert bieten kann. Schulungsmaßnahmen, Anpassungen und Systempflege können durchaus auch Kosten für das Unternehmen bedeuten, die es frühzeitig einkalkulieren sollte.

DHB: Wie unterstützen die Beauftragten für Innovation und Technologie (BITS) der Handwerkskammer des Saarlandes Handwerksunternehmen, Digitalisierungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen?

Hörauf: Zum einen bieten die BITs individuelle Beratungen für Handwerksunternehmen an, die sich – in welchem Umfang auch immer – mit Digitalisierung auseinandersetzen möchten. Als Trendscouts verfolgen sie darüber hinaus die Entwicklung neuer Technologien, die dem Handwerk einen Mehrwert bieten können und stellen diese Lösungen in Infoveranstaltungen, Seminaren und Diskussionsrunden vor.

DHB: Wie arbeiten das Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrum und die HWK zusammen?

Hörauf: Wir ergänzen uns in unserer Expertise. Während wir beim Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum auf produktionsnahe Unternehmen spezialisiert sind, begleiten die BITs saarländische Handwerksunternehmen aus allen Gewerken auf dem Weg in die Digitalisierung. Das Wissen der BITs um die Bedürfnisse der saarländischen Handwerksunternehmen, das sich im Zuge der laufenden Beratungen verdichtet, kommt uns auch bei unserer Arbeit sehr zugute. In Kooperation mit den BITs der HWK bieten wir auch regelmäßig gemeinsame Seminare und Workshops an. So startet beispielsweise am 25. Februar unsere gemeinsame Konvoi-Workshop-Reihe zum Thema „Digitale Zeiterfassung für Handwerksbetriebe“.

DHB: Vielen Dank für das interessante Gespräch.