Peter Müller zur Pflichtmitgliedschaft: „Kein Freibrief, sondern Handlungsauftrag“


Bundesverfassungsrichter Peter Müller

© Bundesverfassungsgericht

Peter Müller, Bundesverfassungsrichter und Ministerpräsident des Saarlandes a.D., fordert die Kammern auf, den ihnen gewährten Vertrauensvorschuss immer wieder durch gute Arbeit zu rechtfertigen.
 
Die Kammerorganisationen sind Ausdruck der Prinzipien Selbstverwaltung und Subsidiarität. Sie stehen damit für Effizienz, so Bundesverfassungsrichter Peter Müller im DHB-Interview. Allerdings sei die gesetzliche Mitgliedschaft für die Kammern kein „sanftes Ruhekissen“, sondern ein klarer Handlungsauftrag. Im Meisterbrief sieht er die beste Qualifikation in die unternehmerische Selbstständigkeit. Den Saarländern empfiehlt er mehr Selbstbewusstsein.
 
DHB: Sehr geehrter Herr Müller, Sie waren über viele Jahre saarländischer Ministerpräsident und sind heute Verfassungsrichter. Es heißt, die Politik überantworte heute oft dem Bundesverfassungsgericht Fragen, die eigentlich im Parlament entschieden werden müssten. Wie sehen Sie das?
Müller: Verfassungsgerichte sind Hüter der Verfassung und nicht Gestalter der Politik. Ihre Aufgabe besteht darin, zu überprüfen, ob die staatliche Gewalt bei ihrem Handeln die bindenden Vorgaben der Verfassung beachtet hat. Vor diesem Hintergrund ist es unzuträglich, dass bisweilen versucht wurde und versucht wird, die politische Debatte vor den Schranken des Gerichts fortzusetzen. Natürlich hat das Gericht häufig über Fragen zu entscheiden, die politisch hoch brisant sind. Der Maßstab für diese Entscheidungen ist aber nie ein politischer, sondern ausschließlich das Verfassungsrecht. Wir entscheiden nicht über die politisch sinnvollste oder zweckmäßigste Lösung, sondern wir prüfen die Einhaltung des Grundgesetzes und achten dabei die Spielräume der Politik.
 
DHB: Im vergangenen Jahr hat sich das Bundesverfassungsgericht klar zur Pflichtmitgliedschaft der Kammern bekannt. Diese Entscheidung fiel klar aus. Welche Bedeutung messen Sie als Jurist und als Politikexperte den Kammern bei?
Müller: Das Kammerwesen ist letztlich Ausfluss der Prinzipien der Selbstverwaltung und der Subsidiarität. Aus- und Fortbildung, Prüf- und sonstige Wirtschaftsverwaltungstätigkeiten und die Interessensvertretung des Berufsstandes gegenüber Politik und Gesellschaft können im Rahmen einer Kammerorganisation in besonders effektiver Weise wahrgenommen werden. Dies rechtfertigt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Organisationsform der öffentlich-rechtlichen Körperschaft und die Institute der Zwangsmitgliedschaft und der Beitragspflicht. Freiwillige Zusammenschlüsse auf privatrechtlicher Ebene wären nicht in gleicher Weise geeignet, die vorgenannten Aufgaben zu erfüllen und unterlägen einem deutlich geringeren Maß an rechtlicher Bindung. Die Kammern sollten die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsmitgliedschaft aber nicht als „Freibrief“ oder „sanftes Ruhekissen“ missverstehen, sondern als Handlungsauftrag, in der täglichen Arbeit den permanenten Nachweis der effizienten Erfüllung ihrer Aufgaben zu führen und dadurch den gewährten Vertrauensvorsprung immer wieder von Neuem zu rechtfertigen.
 
DHB: Sie haben sich in einer viel beachteten Rede bei der Meisterfeier 2018 an die Jungmeisterinnen und Jungmeister des saarländischen Handwerks gewandt. Wie wichtig ist die Meisterausbildung für den Standort Saarland?
Müller: Ohne gut ausgebildete Jungmeisterinnen und Jungmeister hat das Handwerk auch im Saarland keine Zukunft. Der Meisterbrief sichert die Qualität handwerklicher Leistungserbringung und weist die Ausbildungsbefähigung nach. Die Meisterausbildung ist die beste Ausbildung in die Selbstständigkeit, die wir in Deutschland kennen. Allein dies beweist angesichts von rund 2.000 Betriebsnachfolgen, die in den kommenden fünf Jahren im Saarland anstehen, die überragende Bedeutung der Meisterausbildung für unser Land.
 
DHB: Unter Ihrer Ministerpräsidentschaft hat unsere Handwerkskammer die Trägerschaft der Meister- und Technikerschule übernommen, die heutige Saarländische Meister- und Technikerschule. Welche Gründe gab es dafür?
Müller: Die Überleitung der Trägerschaft für die Meister- und Technikerschule war Ausdruck des Vertrauens in die Selbstverwaltungskompetenz und Leistungsfähigkeit des Saar-Handwerks. Wir waren überzeugt, dass die Ausgestaltung der Meisterausbildung bei der Handwerkskammer in den besten Händen liegt. Ich glaube dass man heute eindeutig feststellen kann: Die damalige Entscheidung war goldrichtig. DHB: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was wünschten Sie sich für das Saarland? Müller: Mehr Selbstbewusstsein. Das Saarland ist eine moderne, lebens- und liebenswerte Region im Herzen Europas. Wir sollten aufhören, unser Licht unter den Scheffel zu stellen.


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