Präsident Dreißig zum Mauerfall: „Das Handwerk krempelte die Ärmel hoch.“


Peter Dreißig lächelt in die Kamera

© Foto Goethe/HWK Cottbus

Der Präsident der Handwerkskammer Cottbus, Peter Dreißig, über 30 Jahre Mauerfall.
Bäckermeister Peter Dreißig ist seit 2001 Präsident der Handwerkskammer Cottbus (HWK). Im Gespräch mit dem Handwerksblatt blickt er auf den Mauerfall im Jahr 1989 zurück und schildert, welche Rolle das Handwerk beim Einigungsprozess gespielt hat.
 
DHB: Was verbinden Sie mit dem Mauerfall vor 30 Jahren?
Peter Dreißig: Als die Mauer fiel, stand ich in der Backstube. Ich bereitete gerade den Teig für die Nachtschicht vor und blieb trotz der Ausnahmesituation an der Mauer ruhig. Ich ging hoch in die Wohnung und weckte meine Frau Cornelia. Sie wollte alles stehen und liegen lassen und nach Berlin fahren. Wir haben es nicht getan, wir haben weitergebacken.
Unsere Westeuphorie war weniger groß als bei vielen anderen. Wir hatten uns schon in den Jahrzehnten zuvor viele Informationen über die andere Seite besorgt. Unsere Kinder wurden mit Westmedien sozialisiert, konfirmiert und soweit im Sozialismus möglich auch christlich erzogen.

Der Osten erlebte nach dem Mauerfall eine Zeit, in der alles möglich schien. Eine seltsame Mischung aus Aufbruchsstimmung, Revolution, Neugier und Gemeinsamkeit machte sich breit. Auf dieser Welle segelten wir mit.

DHB: Welche Rolle spielte das Handwerk aus Ihrer Sicht beim Einungsprozess, insbesondere die Handwerkskammern Cottbus und Saarland?
Peter Dreißig: Das Handwerk hat sehr viel zum Einigungsprozess beigetragen. Im Osten nutzten viele Handwerkerinnen und Handwerker die Aufbruchsstimmung, um ihre Träume und Wünsche zu erfüllen. Aus den volkseigenen Betrieben, die vor dem Kollaps standen, kamen viele Menschen, die ein neues Leben als Arbeitgeber und auch Ausbilder begannen. Auf ihrem Weg bekamen sie viel Hilfe von westdeutschen – insbesondere auch von Handwerksbetrieben aus dem Saarland. Da ging es zum Beispiel um die Gestaltung von Verträgen, wie man richtig Angebote erstellt aber auch um Werkzeuge und die Ausstattung von Werkstätten.

Zwischen der Handwerkskammer des Saarlandes und der Handwerkskammer Cottbus entwickelte sich in dieser Zeit eine gelebte Partnerschaft. Im Februar 1990 reiste die erste Cottbuser Delegation ins Saarland. Christi Himmelfahrt kam es zum ersten Gegenbesuch in Cottbus. Im Juni bekamen wir bereits die ersten fachlichen Vorträge von den saarländischen Kammerberatern. Es ging um das bundesdeutsche Steuersystem, um die korrekte Berechnung von Stundensätzen und Verkaufspreisen usw. Wir hatten damals Hunderte Teilnehmer in diesen Workshops. Das hat uns sehr geholfen.

DHB: Wie hat sich das Handwerk in Ihrem Kammerbezirk in den letzten 30 Jahren entwickelt?
Peter Dreißig: Eigentumsverhältnisse waren ungeklärt. Kunden für Töpfer, Schneider oder Sattler blieben aus. Die Industrie als langjähriger Partner brach weg. Doch das Handwerk krempelte die Ärmel hoch.
Im Jahr 1990 wurden mehr als 2.000 Betriebe in die Handwerksrolle aufgenommen. Gewerke wie Bau- und Ausbau oder Elektro boomten. 6.192 Betriebe mit 22.000 Beschäftigten waren zum Ende des Jahres 1990 im Kammerbezirk Cottbus tätig. Das Startguthaben der Handwerkskammer lag übrigens bei 216.000 DM.
Bis zur Jahrtausendwende stiegen die Betriebszahlen an, stabilisierten sich danach. Heute haben wir in unserem Kammerbezirk – 600.000 Menschen leben hier –  knapp 10.000 Unternehmen mit rund 50.000 Beschäftigten und 1.800 Auszubildenden. Allerdings nimmt die Zahl der Unternehmen mittlerweile von Jahr zu Jahr ab. Grund ist der demografische Wandel.
Die große Leistung der Handwerksunternehmerinnen und Unternehmer zeigt sich dadurch, dass sie von Beginn an Ausbildungs- und Arbeitsplätze in einem strukturschwachen Gebiet sichern. Handwerker sind es auch, die Steuern und Abgaben erwirtschaften und auch hier im Land abführen. Ihre Lebensleistung verdient Respekt, Dank und Anerkennung.

DHB: Was ist aus Ihrer Sicht die dringendste Herausforderung beim weiteren Zusammenwachsen der ostdeutschen und westdeutschen Bundesländer? Gibt es überhaupt noch nennenswerte Unterschiede?
Peter Dreißig: Wichtig ist, dass wir Respekt vor der Lebensleistung eines jeden zollen, egal ob er nun aus Ost- oder Westdeutschland kommt. Das ist die Grundlage für das Zusammenleben in einem geeinten Land. Die Sorgen der Handwerksunternehmen in Deutschland sind vergleichbar. Mangelhafte Bildung von Schülern, Bürokratie, die den Unternehmen die Luft zum Atmen abschnürt, Abgaben und Steuern, die jeden Gewinn schmälern usw. sind Bereiche, in denen es großen Handlungsbedarf gibt. Wir verspielen derzeit unseren Wohlstand, in Ost und West gleichermaßen. Hier ist die Politik dringend gefordert, das Ruder herumzureißen.
 

Zur Person

Peter Dreißig aus Guben ist der Prototyp eines zupackenden, erfolgreichen Unternehmers, dem zugleich das Wohl anderer am Herzen liegt. Den Familienbetrieb machte der Konditor und Bäckermeister nach der Wende zum Marktführer in der Region mit heute über 900 Beschäftigten. Fürsprecher für die Interessen des Mittelstandes ist er in seinem Kammerbezirk und darüber hinaus.

Seit 2001 steht er als Präsident an der Spitze der Handwerkskammer Cottbus, die sich unter seiner Federführung zu einer effektiven Dienstleistungsorganisation weiterentwickelte. Dabei liegt ihm die Ausbildung des Nachwuchses besonders am Herzen. 2002 wurde er in das Präsidium des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks gewählt. Sein soziales Engagement zeigt sich beispielhaft an der 2011 gegründeten „Dreißig Stiftung – Zukunft für Kinder“, die sich für sozial benachteiligte Mädchen und Jungen einsetzt.