"Suche nach Nachwuchs ist kein Selbstläufer"


Harald Becken und Bernd Wegner im Gespräch mit Udo Rau

AGVH-Präsident Harald Becken (l.) und HWK-Präsident Bernd Wegner (m.) im Gespräch mit DHB-Redakteur Udo Rau

Interview mit HWK-Präsident Bernd Wegner und AGVH-Präsident Harald Becken zur Situation des Saar-Handwerks

Das DHB sprach mit Bernd Wegner, Präsident der Handwerkskammer des Saarlandes (HWK), und Harald Becken, Präsident des Arbeitgeberverbands des Saarländischen Handwerks (AGVH), über die wirtschaftliche Lage, Fachkräfteausbildung und die Zukunftsaussichten des Saar-Handwerks.
 
DHB: Herr Präsident Wegner, wie ist die Situation im saarländischen Handwerk?

Wegner: Das Handwerk ist ein tragender Pfeiler der Saarwirtschaft. Heute beschäftigen fast 12.000 Handwerksbetriebe im Saarland rund 66.000 Mitarbeiter, erwirtschaften einen Umsatz von 5,8 Milliarden Euro und bilden etwa 5.000 junge Menschen aus. Unser Wirtschaftsbereich ist ein moderner, regionaler und überregionaler Versorger sowie ein wichtiger Industriezulieferer. Augenblicklich läuft die Konjunktur rund. Auch sind die Perspektiven für die kommenden Monate positiv. Damit das Handwerk auch zukünftig florieren und seinen Beitrag zum wirtschaftlichen Wachstum leisten kann, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Wir begrüßen daher, dass sich die neugewählte Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag auf wichtige Aspekte der Standortverbesserung, wie dem Infrastrukturausbau, verständigt hat. Besonders freut es uns, dass die große Koalition die Bedeutung des Handwerks zur Innovation und zum Strukturwandel im Saarland würdigt. Neben der sehr wichtigen finanziellen Unterstützung der Saarländischen Meister- und Technikerschule (SMTS) durch das Land ist die Entscheidung für die Einführung eines Meisterbonus ein wichtiges Zeichen dafür, dass die Politik es ernst meint mit der Gleichstellung von beruflicher und akademischer Bildung. Das ist gut, aber ich sage auch: Hier ist noch ein gutes Stück Weg zu gehen. Wir müssen aufpassen, dass das Fachkräftethema nicht zum Wachstumshemmnis wird.
 
DHB: Herr Becken, wie sehen Sie das aus Sicht der Arbeitgeber?

Becken: Ich kann das von Präsident Wegner Gesagte nur unterstreichen. Aus Sicht der Arbeitgeber stellt der Fachkräftemangel im Handwerk ein zunehmendes Problem dar. Viele Handwerksbetriebe suchen händeringend qualifizierte Kräfte. Die Probleme der demografischen Entwicklung und der daraus resultierenden rückläufigen Zahl an jungen Menschen, die in Ausbildung streben, drohen sich weiter zu verschärfen durch den Umstand, dass die Ausbildungsfähigkeit der jungen Schulabgänger zunehmend nicht mehr gegeben ist. Es fehlt an grundlegenden Kenntnissen in Lesen, Schreiben und Rechnen. Wir sehen dringenden Reformbedarf sowohl in Unterrichtsinhalten als auch bei der Ausbildung der Lehrkräfte.
 
DHB: Welchen Herausforderungen steht Ihr Wirtschaftsbereich?

Wegner: Die Sicherung des Fachkräftebedarfs ist eine der ganz zentralen Aufgaben. Wir müssen hier auf zwei Ebenen ansetzen: Zum einen ist die Zahl derjenigen zu steigern, die sich für eine Ausbildung und Tätigkeit im Handwerk interessieren, zum anderen muss die Qualifikation der Bewerber und der handwerklichen Fachkräfte gesichert werden. Für die weitere positive Entwicklung des Wirtschaftsbereichs Handwerk sind daher das Werben um Nachwuchskräfte und eine qualitativ hochwertige betriebliche Aus-, Fort- und Weiterbildung von entscheidender Bedeutung. Und genau darum kümmern wir uns.
Stichwort Unternehmensnachfolge: In den nächsten Jahren stehen rund 2.000 Betriebe zur Übernahme an. Wir brauchen mehr Führungskräfte, die den Sprung in die Selbständigkeit wagen. Um die Gründerquote zu steigern, könnte das Land eine Gründerprämie für Existenzgründer und Unternehmensnachfolger ausloben, die auf der Grundlage des handwerklichen Meisterbriefs den Schritt in die unternehmerische Selbständigkeit wagen. Eine solche Gründerprämie sollte Teil des Meisterbonus sein.
Ein weiterer Aspekt ist die Digitalisierung, die das Handwerk nachhaltig verändert. Neue Technologien sind Herausforderung und Chance zugleich. Die raschen Innovationen in der Informations- und Kommunikationstechnik schaffen die Voraussetzungen für zahlreiche neue Anwendungsmöglichkeiten. Die Digitalisierung wirkt sich auf viele Bereiche der betrieblichen Leistungserstellung aus. Unser Beauftragter für Innovation und Technologie mit Schwerpunkt Informationstechnik berät und unterstützt unsere Handwerksbetriebe bei der Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen.

DHB: Stichwort Fachkräftesicherung: Was unternehmen die Arbeitgeber, um junge Menschen für das Handwerk im Saarland zu gewinnen?

Becken: Die Betriebe haben erkannt, dass die Suche nach Berufsnachwuchs kein Selbstläufer ist. Viele Gewerke haben über ihre Bundesfachverbände Konzepte entwickelt, von der Lehrlingswerbung über alle vorhandenen Kanäle, auch der elektronischen, über das Angebot von Betriebspraktika bereits an Schüler der Abschlussklassen bis hin zu individuell vom Betrieb gestaltbaren Werbemitteln, die diese bei lokalen Veranstaltungen oder in Medien einsetzen können. Dazu unterstützen wir die Aktivitäten der Handwerkskammer auch bei der Ansprache von Studienabbrechern, die über den Weg einer handwerklichen Ausbildung eine erfolgversprechende Berufskarriere starten können.
 
DHB: Was unternimmt die HWK konkret, um ihre Mitglieder bei der Bewältigung der anstehenden Aufgaben zu unterstützen?

Wegner: Unsere HWK erfüllt ihre Aufgaben für das saarländische Handwerk mit einer Dienstleistungs-Haltung. Wir beraten, unterstützen und fördern Unternehmen bei vielen betriebswirtschaftlichen, technischen und rechtlichen Fragen, in Abstimmung mit den Innungen und Verbänden. Dies gilt insbesondere bei den Herausforderungen, die ich eben erläutert habe.
Wir unterstützen unsere Unternehmen im Bereich der Ausbildung ganz direkt mit Beratungs- und Vermittlungsprojekten. Dies beginnt bei unserer Lehrstellenbörse im Internet, bei der Unternehmen ihre freien Ausbildungsplätze einstellen können. Und wir beraten Studienaussteiger und haben einen eigenen Flüchtlingsnetzwerker. Unser Ausbildungsberater hilft weiter, wenn es in einer laufenden Ausbildung hakt oder gar ein Abbruch droht. Auch werben wir gezielt um Auszubildende. Wir besuchen Schulen, um vor Ort die Jugendlichen für die Berufe des Handwerks zu begeistern. Mit unserem YouTube-Kanal (www.youtube.de/MachDeinDing) stellen wir Ausbildungsberufe im Handwerk vor. Ein Highlight, das Tausende von Besuchern anzieht, ist der Tag des Handwerks, der in Saarlouis stattfindet. Hier können sich Schüler, Eltern, Lehrer und alle Interessierten über das Handwerk sowie seine Karriereperspektiven informieren und bekommen live handwerkliche Berufe präsentiert. In diesem Zusammenhang möchte ich auch die erfolgreiche Kampagne „Hände hoch fürs Handwerk“ nennen.
Schließlich möchte ich noch auf unsere handwerkspolitische Arbeit hinweisen, mit der wir uns für eine optimale Gestaltung der Rahmenbedingungen engagieren. Unsere HWK gibt dem saarländischen Handwerk eine Stimme, die in Politik, Medien und Verwaltung gehört wird. Wir setzen uns in Gesprächen, Veranstaltungen sowie Gremien für die Belange des Handwerks ein und informieren die Öffentlichkeit in Pressekonferenzen über die neuesten Entwicklungen im Handwerk. Auch der Masterplan Handwerk 2020 ist ein wichtiges Instrument unserer handwerkspolitischen Arbeit. Er definiert unsere wichtigsten strategischen Handlungsfelder und skizziert Schwerpunkte, thematische Entwicklungslinien und die damit verbundenen Herausforderungen bis zum Jahr 2020.
 
DHB: Die Innungen und Fachverbände zeigen beim Tag des Handwerks eine beeindruckende Leistungsschau. Welche Rolle spielen die Innungen und Verbände für die Weiterentwicklung des saarländischen Handwerks?

Becken: Die Innungen und Verbände spielen eine zunehmend wichtige Rolle bei der Bewältigung der betrieblichen Anforderungen. Beispiel: Die Anforderungen an die Betriebe durch gesetzgeberische Vorgaben, Änderungen im technischen Regelwerk oder auch Auflagen durch berufsgenossenschaftliche Unfallverhütungsvorschriften werden immer mehr und komplizierter und nehmen einen immer größeren Anteil der Arbeitszeit der Betriebsinhaber in Anspruch. Ohne professionelle Hilfestellung, die die Innungen und Verbände den Betrieben in juristischen, technischen und betrieblichen Fragestellungen bieten, ist der betriebliche Alltag immer schwieriger zu meistern.
 
DHB: Wie stellt sich die Handwerkskammer als Institution für die Zukunft auf?

Wegner: Genauso wie sich unsere Mitglieder auf neue Herausforderungen einstellen, muss dies auch unsere Handwerkskammer tun. Ein sich ständig wandelndes Umfeld macht Anpassungen unumgänglich. Unsere HWK hat vor zwei Jahren mit der Umsetzung eines tiefgreifenden Strategieprozesses begonnen, der bereits in eine neue Organisationsstruktur gemündet ist und eine Vielzahl von Maßnahmen umfasst. Dazu gehören beispielsweise der Masterplan Handwerk 2020, aber auch die Neuausrichtung der Bildungsstätten (Zukunftsprojekt). Wir müssen in Bildung investieren. Dies ist für mich eine zentrale Voraussetzung dafür, dass sich das Handwerk weiterentwickeln kann. Erste Schritte auf dem Weg zur Aufrüstung der digitalen Ausstattung wurden bereits eingeleitet. Ein wesentlicher Schwerpunkt unserer Arbeit wird nun sein, unsere Bildungsstätten zu modernisieren und fit für die Zukunft zu machen. Wir müssen die handwerkliche Aus- und Weiterbildung nicht nur attraktiv gestalten, sondern dabei auch technologisch und didaktisch auf dem neuesten Stand sein. Nach abschließender Klärung der Standortfrage soll im kommenden Jahr eine Planung hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung unseres Zukunftsprojekts vorliegen. Was die Finanzierung angeht, sind wir dem Land und dem Bund für die zugesagte Unterstützung sehr dankbar. Ich bin der festen Überzeugung, dass mit den Investitionen in die Neuausrichtung der handwerklichen Bildungsstätten ein deutlicher Beitrag zur Stärkung des  Wirtschaftsstandorts Saarland geleistet wird. Übrigens investieren wir aktuell stark in die Modernisierung der Ausstattung und haben damit den Weg der Neuausrichtung der handwerklichen Bildungsstätten bereits beschritten.
 
DHB: Wie hat sich die Arbeit des Arbeitgeberverbandes in den letzten Jahren verändert und wie wird sie sich weiter verändern?

Becken: Wie eben bereits erwähnt sind die Anforderungen an die Betriebe immer höher und auch einem zunehmenden Wandel unterworfen. Dies wirkt sich unmittelbar auf die Beratungs- und Unterstützungsfunktion des Arbeitgeberverbandes für die Betriebe und Innungen aus. Die Information der Betriebe setzt unsererseits eine entsprechende Informationsbeschaffung und -aufbereitung voraus. Selbstverständlich nutzen wir dabei auch alle Kommunikationswege, die die heutige Zeit zur Verfügung stellt. Dies ist ein fortlaufender Prozess, dessen Geschwindigkeit und Entwicklungsrichtung sich an der extern vorgegebenen orientiert.
 
 
DHB: Herr Wegner, Sie treten als Kandidat für die Bundestagswahl an. Was bedeutet das für Ihr ehrenamtliches Engagement bei der Handwerkskammer?

Wegner: Grundsätzlich vertrete ich die Meinung, dass sich noch viel mehr Handwerker politisch engagieren sollten. Es wäre sehr wünschenswert, wenn sich in Parlamenten auf allen Ebenen, angefangen von den Stadt- und Gemeinderäten, über die Landtage bis hin zum Bundestag mehr Handwerker fänden, die weniger aus akademischen Erkenntnissen, als vielmehr auf der Basis ihres betrieblichen Erfahrungswissens agierten. Natürlich ist es anstrengend sich nach einem langen Arbeitstag – sei es als Inhaber, sei es als Arbeitnehmer – noch mit der politischen Arbeit auseinanderzusetzen. Doch ist es ungemein wichtig, damit dieses Feld nicht anderen überlassen wird, die das Handwerk gar nicht kennen.
Es ist kein Widerspruch, sich für die Belange des Handwerks einzusetzen und gleichzeitig politisch aktiv zu sein. Das zeigen meine Erfahrungen, die ich als HWK-Präsident und Landtagsabgeordneter gemacht habe. Mein handwerkliches Ehrenamt grenze ich dabei klar von meinem parteipolitischen Einsatz ab. Das werde ich auch so halten, sollte ich in den Bundestag gewählt werden. Meine Arbeit als Kammerpräsident wird im Falle eines Gangs nach Berlin keinesfalls darunter leiden. Ich werde mich weiterhin mit aller Kraft für die Interessen des saarländischen Handwerks einsetzen und gleichzeitig meine Erfahrungen als Handwerker, Unternehmer und Wirtschaftspolitiker auf bundespolitischer Ebene einbringen.
 
DHB: Herr Becken, welche Impulse erwarten Sie nach der Wahl für das Saarland und das Handwerk aus Berlin?

Becken: Hier gäbe es eine ganze Fülle von Punkten, deren Erwähnung hier den Rahmen sprengen würde. Um die wichtigsten zu nennen: Wir erhoffen uns Umsetzung der lange versprochenen Entlastung des Mittelstandes sowohl von Steuer- wie auch Bürokratielasten. Des Weiteren eine noch stärkere Interessenvertretung in Brüssel, die insbesondere unser bewährtes System der dualen Ausbildung und das erfolgreiche gestufte Qualifikationssystem Azubi-Geselle-Meister vor nivellierenden Einflüssen aus Brüssel schützt. Dazu erwarten wir eine Umstellung der Energiepolitik, die weg von ideologisch getriebenen Wunschvorstellungen hin zu einer Politik mit Vernunft und Augenmaß, die physikalisch technische Gegebenheiten wieder in den Vordergrund rückt und in ein schlüssiges Gesamtkonzept einbindet. Und zu guter Letzt: Grundsätzlich erhoffen wir uns, dass wir uns wieder verstärkt den Grundzügen unserer sozialen Marktwirtschaft annähern, wie sie einst unter Ludwig  Erhard eingeführt wurden und nachweislich zum Erfolg geführt haben.

Das Interview führte DHB-Redakteur Udo Rau.