Wirtschaftsministerin Rehlinger: „Klotzen statt kleckern“


Anke Rehlinger in Bordeaux-Jackett

Die saarländische Ministerin für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr und stellvertretende Ministerpräsidentin des Saarlandes Anke Rehlinger | Foto: © Fionn Große

Anke Rehlinger: „Ich bin sehr sicher, dass das Handwerk eine bedeutende Säule unserer Wirtschaftsstruktur bleibt: verlässlich, kompetent und innovativ.“
 
Die saarländische Wirtschaftsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin Anke Rehlinger spricht im DHB-Interview über ein Investieren der zwei Geschwindigkeiten: Weiterhin nötig seien einerseits kurzfristig angelegte Investitionen zur direkten Unterstützung Corona-geschädigter Wirtschaftsbereiche und andererseits langfristige, strukturelle Investitionen in Digitalisierung, Nachhaltigkeit und die Ausbildung von Nachwuchsfachkräften.

DHB: Frau Ministerin, wie ist vor dem Hintergrund der Coronakrise derzeit die Lage in der saarländischen Wirtschaft aus Ihrer Sicht und wie nehmen Sie dabei das Saarhandwerk wahr?
Rehlinger: Das Saarland stand schon vor der Krise vor Herausforderungen. Durch Corona ist vieles verschärft worden. Das gilt besonders für Bereiche wie die sehr exportabhängige Industrie oder etwa die Gastronomie, die wegen Corona eine Zeit lang fast gar keinen Umsatz mehr gemacht hat. Aber die Krise hat natürlich auch das Handwerk getroffen. Selbst wenn zum Glück die Auftragsbücher durchaus noch ok sind, zeigen sich Auswirkungen, weil viele Menschen weniger Geld haben, weil die Ausbildungssituation schwieriger ist. Für das kurzfristige Management der Krise gibt es Antworten mit Wumms: Die Mehrwertsteuersenkung kurbelt den Konsum an, Unternehmen haben Steuerstundungen, direkte Finanzhilfen oder auch Kredite zu besseren Konditionen bekommen und mit einer Ausbildungsprämie belohnt die Bundesregierung, wenn die so wichtige Ausbildung in dieser Zeit sichergestellt wird. Das unterstützen wir hier im Land auch, indem wir für die Ausbildung im Handwerk werben, aber auch für die Nachfolge im Unternehmen, neben der Neu-Gründung. Auch im Handwerk ist die Stimmung noch immer gedämpft, das bestätigt ja auch die Konjunkturumfrage der Handwerkskammer. Umso erleichterter bin ich, dass die Beschäftigung stabil ist und die Unternehmen bemüht sind, ihre Fachkräfte zu halten. Das Handwerk bleibt eine wesentliche Stütze der Saarwirtschaft und hat wieder einmal seine Widerstandsfähigkeit bewiesen.

DHB: Ihr Ministerium hat die „Strukturwandelinitiative Saar“ ins Leben gerufen. Was ist Ziel dieser Initiative?
Rehlinger: Da kommen Sie direkt zu dem anderen Punkt, nämlich den Herausforderungen, die jetzt nicht weniger dringend geworden sind. Das Saarland hat viel geschafft, wenn wir an das Ende des Bergbaus denken. Aber eben auch viel Wandel vor sich etwa in der Automobilindustrie. Die Strukturwandelinitiative bringt alle Akteure an einen Tisch, Arbeitgeber, Gewerkschaften, Politik, Kammer, natürlich auch die Handwerkskammer, die dazu beitragen können, dass wir eine gemeinsame Vorstellung davon haben, wo es mit dem Land hingeht und wie wir die Arbeitsplätze der Zukunft erreichen. Nur mal ein Punkt: Ich kann immer wieder in Berlin für die Wasserstoffstrategie trommeln. Wenn wir da aber gemeinsam mit Unternehmen und auch den Beschäftigten auflaufen, hat das größere Durchschlagskraft. Das erhoffe ich mir. Als Landesregierung haben wir eine Antwort sehr klar gemacht: Wir wollen einen Aufbruch für das Saarland durch mehr öffentliche Investitionen. Wir haben als Land gerade ein Zukunftspaket von 2,1 Milliarden Euro geschnürt, um dem Saarland einen Schub zu geben: Schnelles Internet für alle. Mehr als 100 Mio. in die digitale Bildung, weil Kinder unsere Zukunft sind. Wir investieren in den nächsten zehn Jahren 200 Mio. Euro in Bus und Bahn. Ganz ehrlich: Ich hätte mir gewünscht, es hätte nicht Corona gebraucht, damit wir endlich Klotzen statt Kleckern – aber genau das tun wir jetzt im Jahrzehnt der Investitionen.

DHB: Was erwarten Sie angesichts der Coronakrise und des Strukturwandels im Saarland von der Bundesregierung?
Rehlinger: Die Dinge zusammenzudenken und jetzt auch mal ins Handeln zu kommen. Es ist nicht zielführend, wenn hier mal Klimaschutzvorgaben gemacht werden, dort werden Konjunkturpakete geschnürt und wieder jemand anderes überlegt sich, wie die Zukunft der Industrie unterstützt werden müsste. Da muss eine Gesamtstrategie draus werden, damit Unternehmen Investitions- und Standortentscheidungen treffen können. Die Bundesregierung hat in der Krise sehr gute Arbeit geleistet mit all den Unterstützungsmaßnahmen für die Wirtschaft, für Familien und für die Arbeitnehmer. Ich bin sicher, dass es im Herbst nochmal gezielte Hilfe braucht für besonders betroffene Branchen wie die Gastronomie, die Veranstaltungswirtschaft oder die Reisebranche, die noch immer meilenweit von Normalverhältnissen entfernt sind. Und beim Thema Strukturwandel müssen den Worten der Bundesregierung auch Taten folgen – etwa beim Thema Stahl oder beim Wasserstoff. Die Zukunft unserer Industrie wird Milliarden kosten. Aber keine Zukunft für die Industrie kostet uns Billionen und viele tausend gut bezahlte Arbeitsplätze.

DHB: Derzeit machen sich viele Institutionen im Saarland auf, um sich strategisch neu aufzustellen. Die Staatskanzlei entwickelt eine Digitalisierungsstrategie, das Umweltministerium eine Nachhaltigkeitsstrategie, es gibt eine Saarlandstrategie und die Strukturwandelinitiative Saar erhebt ebenfalls einen strategischen Anspruch. Wann und wie werden diese Einzelstrategien zu einer Gesamtstrategie zusammengefasst?
Rehlinger: Ich nehme in Anspruch, diese Gesamtstrategie zu verfolgen – das tun wir gemeinsam in der Landesregierung. Es gibt aus meiner Sicht zwei ganz grundlegende Problemstellungen für das Saarland: Der Bevölkerungsrückgang und die mangelnden Investitionen. Auf beides geben wir als Landesregierung Antworten. Aber natürlich liegen viele Herausforderungen und Chancen darunter. Wir begreifen die Digitalisierung, IT und IT-Sicherheit als Chance für unseren Wirtschaftsstandort – dann müssen wir auch dafür sorgen, dass digitale Bildung vorankommt. Ich bin aber überzeugt, dass wir in der Politik immer mal den Blick über die Tagesaufgaben hinausheben müssen und die großen Herausforderungen in den Blick nehmen. Ich finde, das hat die Landesregierung gerade mit dem Nachtrags- und dem Doppelhaushalt getan.

DHB: Wie sieht aus Ihrer Sicht die saarländische Wirtschaftsstruktur in zehn Jahren aus und welche Rolle spielt dabei das Handwerk?
Rehlinger: Die Saarwirtschaft wird in zehn Jahren breiter aufgestellt sein, ohne dass wir unseren industriellen Schwerpunkt verlieren. Und natürlich werden wir digitaler und nachhaltiger geworden sein. Der Dienstleistungssektor kann etwa ein Wachstumstreiber sein. Wichtig ist dabei aber, gute Arbeitsbedingungen und vernünftige Bezahlung auch zu erhalten. Online- Angebote und digitale Geschäftsmodelle werden weiter an Bedeutung gewinnen. Auch dem Handwerk eröffnet die Digitalisierung Chancen. Ich bin sehr sicher, dass das Handwerk eine bedeutende Säule unserer Wirtschaftsstruktur bleibt: Verlässlich, kompetent und innovativ.

DHB: Was unternimmt das Wirtschaftsministerium, um die unternehmerische Selbständigkeit zu fördern? Wie bewerten Sie die Idee einer Prämie für diejenigen, die diesen Schritt wagen?
Rehlinger: Mit dem Aufstiegsbonus haben wir bereits eine Prämie, die dazu ermutigt, sich weiterzuentwickeln. Und dazu fördern wir Selbstständigkeit, Gründungen und Unternehmertum. Gemeinsam auch mit der Handwerkskammer des Saarlandes bieten wir mit dem Netzwerk der Saarland Offensive für Gründung (SOG) ein breites Angebot an Beratung und Unterstützung. Wir nehmen angehende Gründerinnen und Gründer an die Hand und versuchen, sie auf ihrem individuellen Weg zu unterstützen. Unsere Partnerinnen und Partner der SOG helfen beispielsweise, die passende Gründungsform zu wählen, die richtigen Qualifizierungsangebote oder Geschäftsräume zu finden und die notwendige Finanzierung aufzubringen. Ein Schwerpunkt ist übrigens die Unternehmensnachfolge, die gerade im Handwerk ein wichtiges Thema ist.

DHB: Wegen der Pandemie wurde die Insolvenzanzeigepflicht ausgesetzt. Experten rechnen in den nächsten Wochen mit einem erheblichen Anstieg an Insolvenzen. Mit welcher Entwicklung rechnen Sie im Saarland, was ist zu tun?
Rehlinger: Gerade wegen der ausgesetzten Pflichten ist das schwer zu sagen. Die letzten Monate waren und sind die schwerste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg, natürlich werden wir Insolvenzen sehen. Entscheidend ist, eine längerfristige Perspektive zu schaffen, aus dem Tal auch wieder herauszukommen. Wir haben beispielsweise jetzt 200 Millionen Euro für einen Stabilisierungs- und Beteiligungsfonds bereitgestellt, mit dem das Land über Bürgschaften oder auch Anteile Unternehmen in Not stützen kann.

DHB: Im vergangenen Jahr verzeichnete das Saarland entgegen dem Bundestrend positive Zahlen bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen im Handwerk. Die Trendwende schien geschafft. Mit der Coronakrise sind diese Zahlen wieder eingebrochen. Was unternehmen Sie, um gegenzusteuern?
Rehlinger: Die Corona-Krise darf keine Ausbildungskrise werden. Im Zukunftsbündnis Fachkräfte Saar (ZFS) haben wir verabredet, sämtliche Unterstützungsangebote zu intensivieren. In meinen Augen zählt dazu auch, Anreize in den Unternehmen zu setzen, etwa durch Übernahme- und Ausbildungsprämien. Denn für eine Vielzahl kleiner und mittlerer Unternehmen, die unter den Folgen pandemiebedingter Schließungen und Auftragseinbrüchen leiden, ist ohne finanzielle Anreize die Aufrechterhaltung der Ausbildungsaktivitäten nicht möglich. Genau das macht der Bund mit seinem Programm „Ausbildungsplätze sichern“. Ich hoffe, dass viele saarländische KMU das Programm in Anspruch nehmen und an ihren Auszubildenden festhalten.

DHB: Viele klassische Instrumente der Berufsorientierung wie Ausbildungsmessen oder Schulklassenbesuche in Bildungszentren konnten in den vergangenen Monaten nicht durchgeführt werden. Auch das spiegeln die Ausbildungszahlen wider. Welche Instrumente sind geeignet, um dieser Entwicklung zu begegnen?
Rehlinger: Das ist richtig. Darauf wird aber beispielsweise mit virtuellen Angeboten zur Berufsorientierung reagiert. Bildungsministerium, Kammern und die Agentur für Arbeit haben sehr schnell gehandelt und Ende Juni ein Online- Speeddating mit Ausbildungsberatern für Schülerinnen und Schüler auf der Plattform Online Schule Saarland realisiert. Die Handwerkskammer mit ihren modernen Formaten wie dem Youtube-Kanal „Mach dein Ding!“ ist für uns da sehr wichtig. Aber auch für Ausbildungsbetriebe gilt es, eigene Angebote in einer modernen Aufmachung anzubieten.

DHB: In den letzten Monaten und wohl auch in den künftigen Monaten können die Bildungsstätten nur mit halber Auslastung Ihre Schulungen durchführen. Dadurch fehlen erhebliche Einnahmen aus dem Bildungsbetrieb. Welche Stützungsmaßnahmen sind geplant, um die Bildungseinrichtungen der saarländischen Handwerksorganisationen zukunftsfest zu machen?
Rehlinger: Seit Öffnung der Bildungszentren im Mai 2020 konnten Vorbereitungskurse auf Abschlussprüfungen wiederaufgenommen werden. Hier wurden ganz pragmatisch viele wertvolle Lösungsmöglichkeiten mit dem Zentralverband des Handwerks vereinbart, etwa was den Schulungsumfang oder Gruppengrößen betraf. Es folgten Gespräche, die auch mit Beteiligung der Allianz für Aus- und Weiterbildung, aus denen dann die schon erwähnten Fördermöglichkeiten für die Bereitstellung zusätzlicher Ausbildungsplätze oder Unterstützung bei Übernahme von Auszubildenden aus Insolvenzbetrieben hervorgingen. Auch die Integration Überbetrieblicher Bildungsstätten (ÜBS) im Bereich einer Verbundausbildung wurde beschlossen. Ich glaube, dass dies nicht nur kurzfristig zu einer Verbesserung der Einnahmesituation für ÜBS führen, sondern auch mittelfristig eine Chance zur Werbung für die Ausbildung im Handwerk sein kann.
 
DHB: Ihr Haus erarbeitet gerade den Energieeffizienzplan 2030 und den erneuerbaren Energien Fahrplan 2030 für das Saarland. Mit beiden Fahrplänen wird deutlich, was in den kommenden Jahren zu tun ist, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Wie sollen die notwendigen Maßnahmen finanziert werden?
Rehlinger: Den Energiefahrplan 2030 unterlegen wir im Moment mit drei Studien, die sich mit Energieeffizienz, den Erneuerbaren Wind und Photovoltaik und zu guter Letzt mit Biomasse befassen und Maßnahmenvorschläge für mehrere Szenarien bis zum Jahr 2030 enthalten. Daraus werden wir dann auch Schlüsse ziehen, wo mehr Steuerung hier im Land notwendig ist. Wir werden die Energiewende aber nicht im kleinen Saarland stemmen. Der Bund wird allerdings ein breitgefächertes Förderprogramm im Bereich der Energieeffizienz auflegen, das wir vollumfänglich nutzen werden. Mit dem Klimapaket hat die Bundesregierung ja einen sehr umfassenden Weg aufgezeigt und mit Förderprogrammen unterlegt, wie die Klimaziele erreicht werden können. Im Bereich der energetischen Gebäudesanierung etwa, ist das ja durchaus auch zum Vorteil des Handwerks. Es wird also sehr darauf ankommen, die Programme auch zu nutzen.
 
DHB: In der Corona-Krise wird die Bedeutung regionaler, handwerklicher Wirtschaftsstrukturen zur Daseinsvorsorge deutlich. Wie muss sich die Wirtschaftspolitik verändern, um gerade regionale, handwerkliche Strukturen zu unterstützen und die Daseinsvorsorge im Saarland zu sichern?
Rehlinger: Damit Handwerksbetriebe wachsen und Arbeitsplätze schaffen können, brauchen sie attraktive Rahmenbedingungen wie eine gute wirtschaftsnahe Infrastruktur. Das ist ein Grund, weshalb ich nicht müde werde, für eine Entlastung der Kommunen bei den Altschulden zu trommeln. Denn wer das wenige vorhandene Geld in den Schuldendienst stecken muss, der investiert einfach zu wenig. Ich glaube, dass wir mit der Investitionsoffensive jetzt mit den zur Verfügung stehenden Mitteln einen guten Aufbruch für unser Land gestalten. Mit Investitionen in das Straßen- und Schienennetz, den ÖPNV und den Flughafen baut das Saarland die Verkehrsinfrastruktur weiter aus. Der flächendeckende Breitbandausbau und Investitionen in neue Gewerbegebiete tragen ebenfalls dazu bei, die Standortbedingungen an der Saar zu verbessern. So arbeitet mein Haus gerade an der Erschließung weiterer neuer Industrie- und Gewerbeflächen. Das alles wird sicher nicht zum Schaden des Handwerks sein.

DHB: Danke für das interessante Gespräch, Frau Rehlinger!