ZDH-Präsident Wollseifer: „Gemeinsam beeinflussen, wohin sich Europa entwickelt“


Ein Mann im ANzug spricht

© Werner Schuering

Interview mit dem Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) Hans Peter Wollseifer.
 
ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer im Gespräch mit dem Deutschen Handwerksblatt über die Bedeutung des Ehrenamts für das Handwerk.
 
DHB: Sehr geehrter Herr Präsident Wollseifer, warum ist das ehrenamtliche Engagement im Handwerk so wichtig?
Wollseifer: Die ehrenamtlich tätigen Menschen sind die Herzkammer des Handwerks. Ohne sie liefe gar nichts. Mehr als 100.000 Personen engagieren sich freiwillig im Handwerk. Allein in den Ausschüssen für Meister- und Gesellenprüfungen sind 50.000 Handwerkerinnen und Handwerker aktiv. Das sind Zahlen, die sich sehen lassen können. Und sie belegen einmal mehr das Selbstverständnis des Handwerks, nicht allein ein Wirtschaftsbereich zu sein, sondern eine tragende Gesellschaftsgruppe, die Verantwortung übernimmt. Diese engagierten Frauen und Männer tragen dazu bei, dass Wissen von einer Generation an die nächste weitergeben wird, und dass sich das Know-how weiterentwickelt. Das ist gerade zur Sicherung des Fachkräftebedarfs von enormer Bedeutung. Insbesondere bei der Ausbildung zeigt sich am deutlichsten, dass über das wirtschaftliche Interesse hinausgehendes Engagement und die Übernahme sozialer Verantwortung immer bedeuten, ein Stück weit mehr als seine Pflicht zu tun.
 
DHB: HWK-Präsident Bernd Wegner wurde mit dem Handwerkszeichen in Gold für sein ehrenamtliches Engagement geehrt. Bernd Wegner ist nicht nur Kammerpräsident und Unternehmer, sondern auch Mitglied des saarländischen Landtags. Wie wichtig ist es, dass sich Handwerker in Parlamenten engagieren?
Wollseifer: Es ist sehr wichtig. Viele Entscheidungen, die die Politik trifft, betreffen unsere Unternehmerinnen und Unternehmer wie auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir sehen es in dieser Legislaturperiode auf bundespolitischer Ebene: Breitbandausbau und digitale Infrastruktur, Wiedereinführung der Meisterpflicht, Fachkräfteeinwanderungsgesetz, Mindestausbildungsvergütung – das sind alles Beispiele für Themen, die uns angehen. Auf landes- und kommunalpolitischer Ebene ist das nicht anders. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat es neulich im Interview völlig richtig gesagt: Im Parlament ist das Know-how der Unternehmerinnen und Unternehmer gefragt. Es ist wichtig, dass wir unseren wirtschaftlichen Sachverstand und unser Wissen aus der Praxis in den politischen Entscheidungsprozess einbringen. Natürlich arbeiten wir im ZDH auch immer wieder mit Nachdruck daran, den berechtigten Interessen unserer Betriebe Gehör zu verschaffen, so dass sie bei politischen Entscheidungen berücksichtigt werden. Wenn die Handwerksanliegen dann auch von Handwerkern im Parlament selbst eingebracht werden können, dann ist das natürlich umso besser.
 
DHB: Was sind Ihre Erwartungen an die Koalition in Berlin mit Blick auf die sogenannte „Rückvermeisterung“?
Wollseifer: Der Begriff ist ein wenig irreführend, denn es geht ja gerade nicht darum, eine Rolle rückwärts zu machen und alles einfach zurückzudrehen. Uns geht es bei der Wiedereinführung der Meisterpflicht im Kern darum, Fehlentwicklungen, die jetzt 15 Jahre nach der Reform erkennbar werden, zum Wohl von Verbrauchern, Kunden und der Gesellschaft insgesamt zu korrigieren und in eine Richtung zu lenken, die die Zukunft eines qualitativ hochwertigen, ausbildungs- und betriebsnachhaltigen Handwerks sicherstellt. Wir sehen jetzt die teils gravierenden Folgen der Handwerksnovelle: Fachkräftemangel, teilweise Qualitätseinbußen, damit weniger Verbraucherschutz, geringere Bestandsfähigkeit von Betrieben, nicht einlösbare Gewährleistungspflichten. Die Große Koalition hat angekündigt, bei der Handwerksreform handeln zu wollen. Der Bundesrat hat sich klar für unser Anliegen ausgesprochen. Nun gilt es, entschlossen zu handeln.
 
DHB: Die Vollversammlung der HWK hat sich in einer Resolution klar zu Europa bekannt. Wohin entwickelt sich Ihrer Meinung nach die EU?
Wollseifer: Ihre Frage klingt, als könnten wir nur abwarten, wohin sich Europa entwickelt. Aber als Zuschauer am Rand zu stehen und die Hände in die Tasche zu stecken, ist immer das Schlechteste, was man tun kann. Jeder Einzelne von uns und vor allem wir alle gemeinsam können beeinflussen, wohin sich Europa entwickelt. Genau deshalb hat sich das Handwerk klar zu Europa bekannt. Jede und jeder ist gefragt, zur Wahl zu gehen und nicht den europafeindlichen Populisten das Feld zu überlassen. Die Europäische Union ist ein einzigartiges Friedens- und Wohlstandsprojekt. Sie ist wahrscheinlich die historisch größte Erfolgsgeschichte, nicht nur auf unserem Kontinent. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Geschichte ein jähes Ende nimmt.
 
DHB: Der ZDH setzt sich für Bürokratieabbau ein. Was muss sich in diesem Zusammenhang ändern?
Wollseifer: Gerade in Zeiten des enormen Fachkräftebedarfs ist es wichtig, dass unsere Betriebsinhaberinnen und -inhaber ihre kostbare Zeit nicht am Schreibtisch vergeuden. Einige Betriebsinhaber berichten mir, dass sie bis zu 40 Prozent ihrer Arbeitszeit damit verbringen müssen, bürokratische Vorgaben und Dokumentationspflichten zu erfüllen. Die Folgen sind weitreichend: Kunden warten wochenlang auf Termine, und viele in der jungen Generation demotiviert das, einen Betrieb zu gründen oder zu übernehmen. Dabei hat Deutschland den Anspruch, ein Gründerland zu sein. Gleichzeitig sehen wir beispielsweise, dass das One-in/One-out-Verfahren (OIOO) stagniert und dass sich beim geplanten Bürokratieentlastungsgesetz III nicht viel getan hat. Das passt nicht zusammen. Hier muss auf allen Ebenen – EU, Bund, Länder und Kommunen – alles getan werden, um die Betriebe zu entlasten und ihnen wieder mehr Freiräume zu verschaffen.