Serie: 125 Jahre Handwerkskammer des Saarlandes Teil 4: Zwischen Wachstum und Wandel

125 Jahre HWK Teil 4
Archivfoto: Handwerkskammer des Saarlandes

Die Jahre 1959 bis 1975 waren für das saarländische Handwerk und die Handwerkskammer des Saarlandes (HWK) geprägt von Hochkonjunktur, Strukturwandel und Investitionen in die Ausbildung.

Mit der vollständigen wirtschaftlichen Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik im Jahr 1959 begann zunächst eine Phase der Hochkonjunktur. Vollbeschäftigung und steigende Einkommen sorgten in vielen Branchen für einen wirtschaftlichen Aufschwung. Doch die zunehmende Industrialisierung brachte auch Herausforderungen mit sich: Die Zahl der Handwerksbetriebe sank bundesweit – auch im Saarland.

Vor allem dort, wo industrielle Produktion das traditionelle Handwerk verdrängte, etwa in der Textilbranche, gerieten viele Betriebe unter Druck. Hinzu kamen die wachsende Konkurrenz durch die Industrie, die oft Gesellen und Auszubildende mit höheren Gehältern anzog, sowie steigende Sozialabgaben. Besonders lohnintensive Betriebe spürten diese Entwicklung deutlich. Ein Strukturwandel setzte ein: Während die Zahl der Ein-Mann-Betriebe zurückging, nahm die durchschnittliche Betriebsgröße zu – 1976 beschäftigte ein Handwerksbetrieb im Saarland im Schnitt sieben Personen.

Handwerk als stabilisierender Faktor

Bereits in den frühen 60er-Jahren wurden die strukturellen Schwächen der vom Bergbau und der Stahlindustrie geprägten saarländischen Wirtschaft sichtbar. Strukturförderprogramme sollten Abhilfe schaffen und führten beispielsweise zur Ansiedlung von Ford in Saarlouis. Mit der Stahl- und Kohlekrise ab 1972 kam es zu wirtschaftlichen Einschnitten. In dieser schwierigen Phase erwies sich das Handwerk als stabilisierender Faktor auf dem Arbeitsmarkt. Während viele klassische Handwerksberufe wie Modisten, Damenschneider oder Schumacher zunehmend verschwanden, florierten zukunftsorientierte Gewerke wie Radio- und Fernsehtechniker, Zentralheizungsbauer oder Kfz-Betriebe.

Ab Mitte der 60er-Jahre rückte die Nachwuchsgewinnung in den Mittelpunkt der Arbeit der Handwerkskammer. Die Anforderungen an Auszubildende stiegen: Neben technischem Know-how wurden auch betriebswirtschaftliche Kenntnisse zunehmend wichtig. 1970 wurde der Bundesauschuss für Berufsausbildung gegründet, neue Ausbildungsordnungen wurden erarbeitet. Die überbetriebliche Schulung – sowohl praktisch als auch theoretisch – gewann an Bedeutung und erforderte erhebliche Investitionen der HWK.

Parallel dazu veränderten bildungspolitische Reformen die Rahmenbedingungen: Mit der sinkenden Zahl an Volksschulabgängern ging auch die Zahl der Auszubildenden um mehr als 20 Prozent zurück. Die Handwerkskammer reagierte mit gezielten Maßnahmen an Schulen und warb aktiv für eine Ausbildung im Handwerk, die Ausbildungszentren wurden ausgebaut. Ziel war es, einen Qualitätsschub in die Ausbildung zu bringen – mit Erfolg: Die Zahl der Lehrlinge in der überbetrieblichen Unterweisung stieg enorm an, und man rechnete mit weiter steigenden Zahlen.Der Ruf nach einer zentralen Ausbildungsstätte für das saarländische Handwerk wurde immer lauter.

Bereits 1965 diskutierte die HWK-Vollversammlung über die Gründung einer zentralen Gewerbeförderungsanstalt (GFA). Anfang der 1970er-Jahre fiel die Entscheidung für einen Neubau direkt neben dem Kammersitz in der Hohenzollernstraße. Der Grundstein wurde am 13. November 1972 gelegt, die feierliche Eröffnung des neuen Berufsbildungszentrums erfolgte am 23. April 1975. Damit war das saarländische Handwerk in der Lage, seinen Nachwuchs nach neusten Standards auszubilden. Auf Initiative der HWK wurden zudem weitere überbetriebliche Bildungsstätten im Saarland eingerichtet – nahezu jeder Auszubildende im Handwerk erhielt nun eine fundierte, ergänzende Praxisausbildung.

Die GFA war nicht nur ein Zentrum der Ausbildung, sondern auch ein Ort, an dem Kunst und Kultur erlebbar wurden. Sie bot saarländischen Kunsthandwerkerinnen und Kunsthandwerkern eine Plattform für Ausstellungen und Veranstaltungen.

Organisationsreform des Handwerks

Noch vor der Eröffnung des neuen Berufsbildungszentrums wurde im Januar 1974 eine umfassende Organisationsreform des saarländischen Handwerks beschlossen. Diese Reform war das Ergebnis eines langen Diskussionsprozesses. Ziel war es, einen überfachlichen Zweig zu schaffen, der die Gesamtinteressen des Handwerks vertreten sollte, ergänzt um einen wirtschaftlichen Zweig zur Förderung der einzelnen Gewerke. Infolge der Umsetzung kam es zur Auflösung bestehender Kreishandwerkerschaften und Innungsverbände. Die Innungen wurden in Landesinnungen zusammengeführt, zentrale Geschäftsstellen übernahmen die Koordination. 1975 gründete die HWK im Zuge der Reform 80 neue gewerbliche und kaufmännische Prüfungsausschüsse und übernahm die Geschäftsführung dafür.

Mitte der 1970er-Jahre durchlief die Bundesrepublik eine wirtschaftlich schwierige Phase: Hohe Arbeitslosigkeit und eine inflationäre Preisentwicklung setzten auch dem saarländischen Handwerk zu. Doch trotz aller Herausforderungen erwies sich das Handwerk in dieser Zeit als widerstandsfähig – und als wichtige Säule der saarländischen Wirtschaft. Dennoch gab es 1975 nur noch 8.102 selbständige Handwerksbetriebe und 607 handwerksähnliche Betriebe mit insgesamt 58.000 Beschäftigten.

Wie sich das saarländische Handwerk in den Jahren bis zur Jahrtausendwende und danach weiterentwickelte, erfahren Sie in Teil 5 dieser Reihe in der Juli-/August-Ausgabe des DHB.


Quelle: Fabry, Philipp W., Dr. phil., „Das saarländische Handwerk und seine Organisationen in Geschichte und Gegenwart“, Verlag „Die Mitte“, Saarbrücken, 1999