Umweltminister Jost: Ländliche Räume aufwerten


Reinhold Jost lächelt

Reinhold Jost, saarländischer Minister für Umwelt und Verbraucherschutz

Der saarländische Minister für Umwelt und Verbraucherschutz über Fördermaßnahmen in der Coronakrise
Reinhold Jost, saarländischer Minister für Umwelt und Verbraucherschutz, und Klaus Bouillon, Minister für Inneres, Bauen und Sport, haben vereinfachte Regelungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge, zum Beispiel für den Erwerb von Schutzausstattung, auf den Weg gebracht, die bis Ende dieses Jahres gelten werden. Das Ziel: saarländische Gemeinden und Gemeindeverbände in Zeiten der Corona-Pandemie entlasten. Im DHB-Interview spricht Minister Jost darüber, weshalb die vereinfachten Vergabegrundsätze jetzt so wichtig sind und wie ein neues Förderprogramm von Bund und Land die Attraktivität von Dörfern und ländlichen Gemeinden im Saarland steigern wird.

DHB: Herr Minister, in ungewöhnlichen Zeiten scheinen Sie und Ihr Ministerkollege Klaus Bouillon gerne zusammenzuarbeiten, so zum Beispiel beim Thema Geflüchtete oder auch jetzt. Wie kommt das?
Jost: Bei uns stimmt die Chemie. Wir haben eine ähnliche, eher pragmatische Herangehensweise an die Dinge, wir packen beide Probleme ohne großes Zaudern an. Darüber hinaus ist für eine Zusammenarbeit wie unsere gegenseitiges Vertrauen wichtig. Keiner zieht den anderen über den Tisch. Auf dieser Basis kann man gemeinsam viel bewegen. Und die Erfahrung zeigt: Loyalität ist keine Frage der Parteizugehörigkeit.    

DHB: In schwierigen Zeiten gibt es für Sie, augenzwinkernd gesagt, sozusagen keine Parteien mehr, sondern nur noch Saarländer?
Jost: Es braucht keine Corona-Pandemie, um das Wohl der Bürgerinnen und Bürger vor Parteiinteressen zu stellen.  

DHB: Sie haben kürzlich gemeinsam mit dem Innenminister eine vereinfachte öffentliche Auftragsvergabe aufs Gleis gesetzt. Was verbirgt sich dahinter?
Jost: Hauptziel ist, den saarländischen Kommunen in der Corona-Krise eine schnellere, einfachere Materialbeschaffung zu ermöglichen. Aufträge etwa für Schutzkleidung und andere Hilfsmittel können die kommunalen Verwaltungen jetzt bis zu einem Wert von 214.000 Euro direkt vergeben. Da Beschaffungen für das „tägliche“ Geschäft und Maßnahmen im Zusammenhang mit der Pandemie nicht immer klar getrennt werden können, wird die Auftragsvergabe für alle kommunalen Vergaben befristet bis zum 31. Dezember 2020 deutlich erleichtert. Freihändige Vergaben sind bis zu einer Grenze von 150.000 Euro möglich. Bei Bauleistungen ist zudem bis zu einem Auftragswert von einer Million Euro eine beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb möglich. Die vereinfachte Auftragsvergabe kommt natürlich auch den Unternehmen zugute.

DHB: Unsere Handwerkskammer und die saarländische Bauwirtschaft begrüßen das vereinfachte Vergabeverfahren ausdrücklich. Gibt es weitere Reaktionen, insbesondere seitens öffentlicher Auftragsgeber?
Jost: Wir haben Lob von der Ingenieur- und der Architektenkammer, aber auch Beifall von einer ganzen Reihe von Kommunen erhalten.

DHB: Themenwechsel: Welche Ziele verfolgt das von Bund und Ländern unterstützte Sonderförderprogramm ländliche Entwicklung?
Jost: Das Ziel des 2018 beschlossenen Sonderrahmenplans ist es, die Länder verstärkt bei der Bewältigung der Herausforderungen in den Bereichen Infrastruktur, Grundversorgung, Daseinsvorsorge und Beschäftigungsmöglichkeiten unter die Arme zu greifen. Daraus resultierte im Saarland das Sonderförderprogramm Ländliche Entwicklung. Mit zusätzlichen Bundesmitteln aus der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK) werden ganz neue inhaltliche Schwerpunkte und Akzente für eine strukturelle und bedarfsorientierte Förderung der Dörfer angeboten. Hervorzuheben sind hier etwa die Förderung von Kleinstunternehmen der Grundversorgung, die Revitalisierung leerstehender Gebäude im Ortskern zu modernen Wohn- und Gewerberäumen oder die Programmierung digitaler Anwendungen für die Daseinsvorsorge im Dorf.

DHB: Die konkrete Ausgestaltung des Programms ist Ländersache. Welchen Weg geht das Saarland hier und weshalb ist das Projekt insbesondere für unsere Region wichtig?
Jost: Wir haben hier im Saarland neben den neuen Fördergegenständen, die sich am vom Bund vorgegebenen Rahmenplan orientieren, auch neue Aufstockungsmöglichkeiten der Förderquoten: zum einen für finanzschwache Kommunen direkt aus der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK)  selbst und darüber hinaus aus Bedarfszuweisungen des Innenministeriums. Dadurch können insbesondere den finanziell klammen Kommunen im Saarland fast flächendeckend hohe Förderquoten geboten werden. Öffentliche Antragsteller können nun neben der durch das Umweltministerium gewährten Förderquote von 55 bis 65 Prozent eine ergänzende Bedarfszuweisung „on top“ und damit eine Förderquote von bis zu 90 Prozent erhalten. Aufgrund geringerer Eigenanteile, die zudem auch in Form von Eigenleistungen der Bürgerinnen und Bürger erbracht werden können, ist es wieder möglich, Vorhaben umzusetzen, für die zuvor die Gegenfinanzierung nicht sichergestellt werden konnte.
Für private und gewerbliche Antragsteller mit Projekten in den Bereichen Sanierung ortsbildprägender Gebäude, Revitalisierung von Gebäude-Leerständen oder auch bei Investitionen in Kleinstunternehmen der Grundversorgung bietet das neue Sonderförderprogramm mit rein nationalen Fördermitteln gleichzeitig Vereinfachungen und einen deutlich reduzierten Verwaltungsaufwand bei der Antragstellung und Projektumsetzung gegenüber der EU-Förderung.
Mit dem „Sonderförderprogramm Ländliche Entwicklung“ werden somit ganz neue inhaltliche Schwerpunkte und Akzente für eine strukturelle und bedarfsorientierte Förderung der Dörfer angeboten, die auch andere Förderprogramme meines Hauses sinnvoll ergänzen – das sind aus meiner Sicht viele gute Gründe, warum diese Mittel in Verbindung mit dem Förderprogramm so wichtig für unsere Region sind.

DHB: Das Projekt läuft seit 2019 und bis 2021. Welche Erfolge haben Sie bis jetzt beobachtet und in welchen Bereichen wünschen Sie sich bis 2021 noch Fortschritte?
Jost: Trotz des kurzfristigen Starts im vergangenen Jahr kann das Sonderförderprogramm schon jetzt als Erfolg bezeichnet werden, da sich daraus große Chancen und Impulse für die Umsetzung strukturell bedeutender Förderprojekte unseres Landes ergeben. Bislang wurden nach dem Sonderförderprogramm Ländliche Entwicklung 45 Maßnahmen gefördert, weitere 21 Anträge werden derzeit bearbeitet.
Ein weiteres Erfolgsmodell ist das neu über das Sonderförderprogramm bereitgestellte Regionalbudget für die vier LEADER-Regionen, mit dem eigenständig Kleinprojekte der Dorfentwicklung bis zu 20.000 Euro Gesamtkosten unterstützt werden können. Das Programm kommt bei Gemeinden, Bürgermeistern und Ortsvorstehern richtig gut an. Insgesamt wurden hier allein im vergangenen Jahr schon 60 Kleinprojekte zur Dorfentwicklung unterstützt. Es ist auch festzustellen, dass die aktiven und engagierten Akteure in den saarländischen Dörfern und Gemeinden großes Interesse an unserem breiten Förderportfolio zeigen und mit vielfältigen, teils innovativen Projekten ihre Region voranbringen wollen. Dass hierbei Kleinprojekte schnell umgesetzt werden, zeigt den Projektträgern, dass Förderung auch unkompliziert möglich ist und motiviert die Akteure umso mehr, sich einzubringen und nach dem so genannten „Bottom-up-Ansatz“ Entwicklungsprozesse mitzugestalten.
Fortschritte wünsche ich mir im Hinblick auf die Übertragbarkeit der nur jährlich zur Verfügung stehenden Bundesmittel. Dafür werden wir uns als derzeitiges Vorsitzland der Agrarministerkonferenz stark machen und hoffen hier auf einen Beschluss in Richtung Flexibilisierung.

DHB: Wie beschreiben Sie die Rolle des Handwerks bei der Umsetzung einzelner Projektmaßnahmen wie beispielsweise der baulichen Aufwertung von Dorfkernen und welche Rolle könnte das Handwerk in ländlichen Kommunen spielen, nachdem diese an Attraktivität gewonnen haben?
Jost: Wir haben hier im Saarland die Erfahrung gemacht, dass die Zusammenarbeit von Handwerk und Ehrenamt eine große Rolle spielt und sehr gut funktioniert. Bauliche Aufwertungen in Dorfkernen werden teilweise gerne durch Ehrenamtliche in Eigenleistung umgesetzt. Das verdient große Anerkennung und stützt das soziale Miteinander in den Dörfern. Doch längst nicht alles kann in Eigenleistung erbracht werden, hier ist das Handwerk für die Umsetzung der Vorhaben unverzichtbar. Die Nachfrage nach Projekten ist nach wie vor da und die Aufträge für Handwerksbetriebe werden mit Sicherheit nicht ausbleiben.

DHB: Die Bedeutung des Handwerks für den ländlichen Raum und die Daseinsvorsorge der Bevölkerung wird uns gerade in besonderer Weise vor Augen geführt. Welche Maßnahmen planen Sie in Zukunft, um die Bedeutung des Handwerks, insbesondere im Hinblick auf die Versorgung der Bevölkerung im ländlichen Raum zu stärken?
Jost: Auch, wenn im ländlichen Raum nicht mehr in jedem Ort handwerkliche Betriebe zu finden sind, so prägen sie dennoch unsere Wirtschaft und sichern die Versorgungsstrukturen und das gesellschaftliche Leben im ländlichen Raum. Gerade dort erleben wir, dass kleine Handwerksunternehmen zur Stabilität dörflicher Strukturen beitragen. Das Sonderförderprogramm unterstützt genau diesen Ansatz zur Sicherung, Schaffung, Verbesserung und Ausdehnung der Grundversorgung der ländlichen Bevölkerung mit der Förderung von Kleinstunternehmen der Grundversorgung, wozu auch Bäckereien und Metzgereien zählen. Voraussetzung ist, dass eine dahingehende Versorgung nicht mehr sichergestellt ist.

DHB: Die Corona-Krise überschattet aktuell vieles. Trotzdem verabschiedet sich der Klimawandel nicht einfach sang- und klanglos. In den vergangenen Jahren wurde das Saarland von zahlreichen Unwettern getroffen, die enorme Schäden verursacht haben. Wie muss sich das Handwerk im eigenen Betrieb auf diese zunehmende Bedrohung vorbereiten und welche Rolle spielt das Handwerk im Rahmen der Klimafolgenanpassung im ländlichen Raum?
Jost: Wir müssen davon ausgehen, dass das Saarland auch in den kommenden Jahren von heftigen Unwettern betroffen sein wird. Hochwasser, Überschwemmungen, Sturzfluten können fast jeden treffen. Langanhaltende Dürreperioden machen vor allem Landwirten, Gartenbauern und Forstleuten zu schaffen. Um dem Klimawandel zu begegnen, können alle Teile der Gesellschaft einen Beitrag leisten, so auch das Handwerk.
Viele Handwerksbetriebe haben die Bedeutung des Klimaschutzes für ihre Arbeit längst erkannt. Nicht selten fehlen aber vollständige Informationen über die verschiedenen klimapolitischen Instrumente und Maßnahmen der Regierung, insbesondere was Beratungs- und Förderangebote betrifft. Wichtig ist natürlich auch, dass ein Ausgleich gefunden wird zwischen zusätzlichen Belastungen der Betriebe durch bestimmte Klimaschutzinstrumente und der Notwendigkeit zu innerbetrieblichen und branchenspezifischen Investitionen in moderne und klimaneutrale Rohstoffe.
Aber auch bei der Klimafolgenanpassung spielt das Handwerk eine besondere Rolle. Schutzvorkehrungen wie Rückhaltebecken oder Anlagen und Installationen an Häusern müssen gefertigt werden - oft sind dies sehr spezifische Einrichtungen, für die ein gewisses Know-how vor Ort notwendig ist. Da können sich oftmals lokale Betriebe viel besser einbringen.